Von Marina Schünemann
Ein neues Print-Magazin für Berlin und Deutschland: Erfahrungsberichte von trans Personen und lesbischen Frauen, zusammen mit Veranstaltungs- und Büchertipps zum Thema Homosexualität und Transsexualität. Außerdem enthält es Romane und Gedichte und einen recht großen Teil mit Leser*innenbriefen. Es erscheint allerdings nicht dieses Jahr, sondern schon vor 100 Jahren – genauer am 8. August 1924. Mit Die Freundin erscheint das erste lesbische Stadtmagazin der Welt.
Vieles in der Zeitschrift könnte heute genauso gedruckt werden: Da gibt es einen Artikel über Begrifflichkeiten der Szene, in der sich die verfassende Person beschwert, dass viele Begriffe auch von der Community selbst oft falsch verwendet werden, und möchte Aufklärung schaffen. In Ausgabe 11 aus dem Jahr 1933 schreibt ein Dr. F. O. Hartog: „Es wundert sich niemand darüber, wenn die große Menge unserer Zeitgenossen alle Begriffe, die mittelbar oder unmittelbar mit der Gleichgeschlechtlichkeit zusammenhängen, verwirrt und verwechselt, denn mehr kann man vom Menschen nicht erwarten, die an der Frage nicht persönlich interessiert und nur höchst unvollkommen oder überhaupt nicht über das betreffende Gebiet informiert sind, trotz der gewaltigen Aufklärungsarbeit, die in den letzten beiden Jahrzehnten geleistet wurde. […] Erstaunen und Befremden aber muß es erregen, wenn selbst von Berufenen innerhalb unserer Bewegung mit allen Begriffen in geradezu unverantwortlich leichtfertiger Weise jongliert wird […]“ Ähnliche Diskussionen sind auch heute noch zu beobachten, zum Beispiel auf der Social Media-Plattform Threads: Dort äußert zum Beispiel die Userin „aspirationaltea“ ihren Unmut über die Verwechslung der Begriffe „sapphic“ und „lesbian“, auch innerhalb der Community.
Vieles in der Zeitschrift könnte heute genauso gedruckt werden.
In mehreren Artikeln der Zeitschrift Die Freundin wird über das „prüde Amerika“ geschmunzelt und mit Erleichterung festgestellt, wie viel „weiter“ Deutschland bzw. Berlin in dieser Hinsicht sei. In einem Artikel aus dem Jahr 1928 wird als Reaktion auf ein Gerichtsurteil in den USA gefragt: „Wann wird Amerika lernen, daß gleichgeschlechtliche Liebe kein Laster, sondern eine Naturerscheinung ist? Allem Anschein nach nie!“ Zur Zeit der Weimarer Republik ist Berlin das europäische Zentrum für Homosexuelle und trans Personen in Europa. Viele Menschen reisen nach Berlin, um einmal ins berühmte „Eldorado“, einem Szenelokal für trans Personen, feiern zu gehen. Speziell für homosexuelle Frauen entsteht 1928 der allererste lesbische Stadtführer Berlins lesbische Frauen, mit vierzehn Lokalitäten. Geschrieben hat ihn Ruth Margarete Roellig, die auch häufig Artikel für Die Freundin schreibt.

Die Freundin erschien erst monatlich, dann zweiwöchentlich und schließlich wöchentlich. Herausgeber war der Bund für Menschenrecht, der sich für Homosexuelle und trans Menschen einsetzte. Die ersten Jahre hatte die Zeitschrift sogar weibliche Chefredakteurinnen, was durchaus ungewöhnlich für die Zeit war – die meisten von ihnen hatten keine journalistische Ausbildung. Trotzdem war das Blatt außergewöhnlich erfolgreich. Schätzungen gehen von einer Auflage von 10.000 Exemplaren pro Ausgabe aus – für ein Lokalblatt mit einer engen Zielgruppe wie Die Freundin sind das beachtliche Zahlen.
In mehreren Artikeln der Zeitschrift Die Freundin wird über das „prüde Amerika“ geschmunzelt und mit Erleichterung festgestellt, wie viel „weiter“ Deutschland bzw. Berlin in dieser Hinsicht sei.
Laut Briefen der Leser*innen an das Heft war Die Freundin ein wichtiges Medium zur Identifikation und gegen die Einsamkeit, die Homosexualität in den 1920ern oft mit sich brachte: Gesellschaftlich war sie nicht anerkannt, verpönt, war ein Tabuthema, bei Männern durch den § 175 sogar strafbar. Erst 1994 wurde der Paragraf schließlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
Gerade für Leserinnen vom Land war Die Freundin auch ein Fenster in die Großstadt, wo es – wie auch heute – meist offener zuging und es mehr Möglichkeiten zum offenen Ausleben der Sexualität in Toleranz gab. 1928 schreibt der Leser Werner Kn. einen Aufruf zum Kampf für Transrechte. Er möchte „all [s]eine Artgenossen eindringlich bitten, […] energisch und selbstbewußt ihre Rechte, ihre Freiheit zu erkämpfen“ und fragt die Leser*innen: „Leben wir nicht im Zeitalter der Toleranz und der Individualität? Sollen wir Muckern und Ignoranten zuliebe uns unser Lebensglück dauernd vorenthalten lassen? Nein, wir wollen unsern Mitbürgern ihre ganze stupide Selbstgefälligkeit nehmen, indem wir ihnen aus dem Mund erfahrener Ärzte die nötige Aufklärung geben lassen. Wir müssen durch Zeitungen und Zeitschriften unermüdlich der Öffentlichkeit die Wahrheit einhämmern, daß Gott die Menschen nicht fabrikmäßig nach zwei völlig gleichen Modellen schafft […].“

Das Heft war elementar für die Vernetzung lesbischer und trans Menschen in Berlin. Dort fanden jedes Wochenende Tanztees, Kostümfeiern, „Transvestitenbälle“ und andere Veranstaltungen für lesbische Frauen und trans Personen statt, wo sie unter sich sein und auch Partner*innen kennenlernen konnten. Diese Veranstaltungen wurden ebenfalls in Die Freundin beworben.
Das Heft war elementar für die Vernetzung lesbischer und trans Menschen in Berlin.
In seiner Veröffentlichungszeit zwischen 1924 und 1933 war das Magazin zwei Mal von den sogenannten „Schmutz- und Schande“-Gesetzen betroffen. Diese Gesetze stellten eine Art Jugendschutzgesetz dar und sorgten dafür, dass Die Freundin zeitweise nicht öffentlich an Zeitungsständen ausgehängt und verkauft werden durfte, sondern nur unter der Ladentheke. Da der „Verlag […] es mit seinem Ansehen nicht für vereinbar [hält], die Straßenhändler, die sich mühsam, in Wind und Wetter stehend, ihre paar Pfennige verdienen, in Ungelegenheiten zu bringen“, entschloss sich der Chefredakteur Friedrich Radszuweit, die Zeitschrift von Juni 1928 bis Juli 1929 einzustellen. Als Ersatz erschien allerdings ein Heft namens Ledige Frauen.

Noch am 14. Dezember 1932 schreibt der Herausgeber Martin Radszuweit auf dem Titelblatt, „daß Die Freundin auch in Zukunft stets pünktlich und regelmäßig erscheinen, und außer im Abonnement auch überall im Buch- und Straßenhandel erhältlich sein wird“. Keine drei Monate später, nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler und die NSDAP am 30. Januar 1933 und der Reichtagsbrandverordnung Ende Februar 1933 wurde Die Freundin allerdings als entartet verboten und musste endgültig eingestellt werden. Am 15. März 1933 erschien die letzte Ausgabe. Auch die Lokale wie zum Beispiel das Café Dorian Gray, für dessen Maskenball am 11. März in der vorletzten Ausgabe noch geworben wurde, wurden im März 1933 durch die Nationalsozialisten geschlossen, der Ball konnte nie stattfinden.
Zur Sprache im Artikel: In diesem Artikel wird mit Genderstern gegendert, um die Vielfalt der Geschlechter, vor allem auch im Kontext des Artikels, abzubilden. Für trans Personen wird die aktuelle Schreibweise und nicht die historische („Transvestiten“) verwendet, sofern es sich nicht um ein direktes historisches Zitat aus Die Freundin handelt.
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