when the levee breaks: blues in zeiten der krise

Ein düsterer Abend im Herbst 1929; sieben Gestalten versammeln sich im majestätischen Herrenhaus von Harold Seymour. Der Rätsel- und Spielentwickler ist kürzlich verstorben und hat sie in seinem Testament auserkoren, an seinem letzten und komplexen Rätselspiel teilzunehmen. Es soll darüber entscheiden, wer von den Anwesenden sein Erbe antreten soll, um das weltbekannte Spieleunternehmen „Harold“ in die Zukunft zu führen. Spannung liegt in der Luft. Denn so verschieden die Gäst*innen auch sein mögen, teilen sie doch ein gemeinsames Schicksal: Sie alle haben vor wenigen Tagen ihr gesamtes Vermögen infolge des Börsensturzes von 1929 verloren. Seymours Escape-Game scheint ihre letzte Hoffnung zu sein.

Inmitten dieses Spiels um „Alles oder Nichts“ erlebt das Publikum bereits im ersten Akt des Theaterstücks eine eindringliche Szene: Die vermeintlichen Konkurrent*innen kommen zusammen und singen gemeinsam das Lied „When the Levee breaks“ – allein Harolds Neffe Phineas verweigert die Teilnahme. 

Der Text thematisiert die persönlichen Ängste und Sorgen angesichts der drohenden Flut.

Der Blues-Song „When the Levee breaks“ stammt ursprünglich aus eben jenem Jahr, in dem auch die Handlung des Stücks spielt – 1929. Blues-Songs waren in den 1920er Jahren sehr populär. Sie handelten von Verlust und Ungerechtigkeit, aber auch von der Überwindung schmerzhafter Erfahrungen und dem Triumph darüber. „When the Levee Breaks“ – verfasst von Kansas Joe McCoy und Memphis Minnie – erzählt von der verheerenden Mississippi-Flut im Jahre 1927. Ein sintflutartiger Regen hatte zu einem Dammbruch geführt, der den Fluss in ein riesiges Meer verwandelte – hunderte Menschen starben, Hunderttausende mussten ihre Häuser verlassen. Der Text thematisiert die persönlichen Ängste und Sorgen angesichts der drohenden Flut. „If it keeps on rainin’, levee’s goin’ to break / And the water gonna come in, we’ll have no place to stay.“

Für viele Menschen wurde der Song jedoch weit mehr als ein Blues über die Mississippi-Flut – sie interpretierten den Text als eine Prophezeiung. Denn nur wenige Monate nach der Veröffentlichung des Songs im Sommer 1929 kam es am 24. Oktober zu einem folgenreichen Börsenkrach, der schließlich zur Weltwirtschaftskrise führte. Die Sängerin Memphis Minnie, die auch den Text von „When the Levee breaks“ schrieb, wurde als Seherin bezeichnet. Viele Menschen waren der Überzeugung, sie habe mit dem Song das gesellschaftliche Leid und die wirtschaftliche Not vorhergesehen, die infolge des Börsenkrachs über die USA in viele Teile der Welt hereinbrechen sollten.

In der modernen Popkultur wird „When the Levee breaks“ immer wieder gerne eingesetzt, um Themen wie ungerechte Machtstrukturen, gesellschaftlichen Widerstand oder die Gefahren des Klimawandels zu thematisieren. Im Oscar-prämierten Film Argo (2012) begleitet der Song das Chaos der iranischen Revolution, in der Serie Westworld (2016) untermalt er den Aufstand der unterdrückten Androiden, und in einem Song des Rappers Jay-Z bekräftigt ein Sample des Songs die Herausforderungen seiner 99 Problems (2003). 

Die University Players präsentieren in ihrem Theaterstück eine eigene Interpretation von „When the Levee breaks“. Dabei verwenden sie sowohl Elemente des Originals als auch aus der berühmten Led Zeppelin-Version aus dem Jahr 1971. Die musikalische Darbietung ist Teil des Inheritance-Spiels – nur die Mitspieler*innen, die sich daran beteiligt haben, erhalten die begehrten Tokens, die nötig sind, um im Spiel weiterzukommen. Den meisten Mitspieler*innen ist zu diesem Zeitpunkt bereits klar, dass sie das Spiel nicht im Alleingang gewinnen können. Der verstorbene Harold bestätigt in einer Nachricht an die Spieler*innen: „In order to lead the company, you must be willing to work as a team.“

In der modernen Popkultur wird „When the Levee breaks“ immer wieder gerne eingesetzt, um Themen wie ungerechte Machtstrukturen, gesellschaftlichen Widerstand oder die Gefahren des Klimawandels zu thematisieren.

Im gemeinsamen Musizieren wird die Nachricht des Spielmeisters für alle Mitspieler*innen spürbar. Der Blues-Song ist Ausdruck ihres geteilten Schicksals – der Verlust des gesamten Vermögens – und macht die Notwendigkeit des Zusammenhalts in schwierigen Zeiten besonders deutlich. Das Singen des Blues als eine kollektive Katharsis bringt die Charaktere näher zusammen und stärkt ihre Bindung zueinander; ein Moment der Einheit, bevor die Welt im Chaos versinkt. Nun ist es genau diese Szene in The Inheritance Game, in der die Zeit stillzustehen scheint, und die emotionale Verbindung zwischen Stück und Gegenwart spürbar wird. 

Die Geschichte erzählt nicht nur von längst vergangenen Ereignissen, sondern wirft unweigerlich auch ein Licht auf die drängenden Probleme unserer Zeit. Als Spiegelbild der Gesellschaft macht das Ensemble deutlich, was nötig ist – oder eben nicht –, um den Herausforderungen einer Krise zu begegnen.

So schaffen es der Musiker Sebastian und die Entertainerin Gloria, die Vergangenheit ihrer gescheiterten Beziehung zu überwinden, um das Spiel im kollektiven Singen voranzutreiben. Harolds Neffe Phineas dagegen ist isoliert – seine Angst vor dem Unausweichlichen und die komplette Verneinung der Realität hindern ihn daran, eine Verbindung zu der Gruppe aufzubauen. Dabei ist es gerade die persönliche Reflexion eines Blues, die ihm dabei Erlösung bringen könnte. Im Blues nehmen leidende Menschen sowohl die schmerzhafte Realität als auch die persönliche Trauer an und teilen sie mit der Welt. Aus diesem selbstreinigenden Akt erwachsen schließlich die Entschlossenheit und die Kraft, zukünftige Widrigkeiten zu überwinden. 

Am Ende sind es Merkmale wie Ehrlichkeit – vor allem sich selbst gegenüber – gegenseitiges Verstehen und die Entschlossenheit nach vorne zu schauen, die in diesem Spiel belohnt werden.

Phineas verpasst diese Chance. Nachdem die musikalische Darbietung von “When the levee breaks” beendet ist, grenzt er sich weiter ab und versucht zu erklären, warum gerade seine Situation weitaus ernster sei als die seiner Mitstreiter. „You all have the opportunity to rebuild if you lose this! You have skills, you have jobs, you have families! […] You have somewhere to go, someone to be! You have lives outside of this! This is all I have! This is all I have ever known. Without Harold Seymour, and his company, I have nothing!“ Phineas richtete sein ganzes Leben darauf aus, materiellen Wohlstand zu erlangen und verbleibt am Ende – er erkennt es richtig – mit nichts und niemandem. 

Doch es ist nicht nur Phineas, der in diesem Spiel leer ausgeht. Die Schachspielerin Alexandra scheitert an ihrer eigenen Logik; der Detektiv Manfred wird durch sein beständiges Misstrauen in die Irre geleitet. Beide schaffen es nicht, Psyche und Gefühlswelt ihre Mitspieler zu lesen und dadurch den Anforderungen des Spiels gerecht zu werden. 

Am Ende sind es Merkmale wie Ehrlichkeit – vor allem sich selbst gegenüber – gegenseitiges Verstehen und die Entschlossenheit nach vorne zu schauen, die in diesem Spiel belohnt werden. Doch die Belohnung ist nicht nur Harolds Erbe. Die vier Charaktere, die diese Stärken unter Beweis stellen, gewinnen im “Inheritance Game” auch einander. Es scheint geradezu so, als würde der Spielmeister Harold sie mit jedem Rätsel näher zusammen führen. 

Auch wenn es unter ihnen nur einen offiziellen Gewinner gibt, werden sie nach Spielende nicht allein sein. Ihre menschliche Verbindung wird sie über Wasser halten, „wenn der Damm bricht“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert