ausgeblendet – happy endings

Von Günter Daubenmerkl

Ein letzter verliebter Blick, ein Kuss… und dann fällt der Vorhang, die Scheinwerfer verlöschen. Während wir uns an der Garderobe drängeln, beginnt für die Beiden, die sich nach allen überstandenen Irrungen und Wirrungen eben noch auf der Bühne überglücklich in den Armen lagen, die Abenteuerreise ins gemeinsame Leben.    

Doch während ich den Mantel anziehe, kommen mir erste Zweifel, ob diese Reise auch ein gutes Ende haben wird. Eine Scheidungsrate von über 30% spricht zu deutlich gegen die Gültigkeit des märchenhaften „und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ der Grimm‘schen Gebrüder. 

Wir fallen nur zu gerne auf die Versprechen herein, die uns Theater und Kino suggerieren. Wir lieben die Ordnung, die nach aller Unordnung während des dramatischen Geschehens zum Schluss wieder hergestellt wird. Der Verbrecher wird gefangen, das Recht siegt und die Liebespaare, die Guten, finden sich. Uns treibt die Sehnsucht nach einem harmonischen und geordneten Leben um. Wir träumen von einer Zukunft, die vorhersehbar ist und berechenbar, von einem happy ending der Abenteuerreise, die unser Leben schließlich ist. Es ist ein Traum, der vor allem von Hollywood am Leben gehalten wird und mehr oder weniger in jedem Schauspiel, jedem Film neu geweckt wird. Und wir gehen deshalb ins Kino oder ins Theater, um zumindest hier unsere Sehnsucht nach Ordnung und Glück erfüllt zu sehen. 

Eine Scheidungsrate von über 30% spricht zu deutlich gegen die Gültigkeit des märchenhaften „und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ der Grimm‘schen Gebrüder.

Um einmal mehr auf Shakespeare zurückzukommen (und als Anglist darf man das ja): Für keine seiner Komödien, also landläufig gesprochen für alle Stücke, in denen der Titelheld weder ermordet wird, noch eines natürlichen Todes stirbt, ist ein Fortbestehen des scheinbaren Bühnenglücks garantiert. Alle Ausgänge sind fragil, der Plot scheint noch nicht ausdiskutiert zu sein. Unterwirft sich Katherine wirklich dem Petruccio? Kann Viola vergessen, dass sich Orsini in sie verliebte, als er sie für einen Knaben hielt? Können Benedick und Beatrice ihre oft verletzenden Streitereien lassen? 

Stellen wir uns einmal die Geschichte von Romeo und Julia vor, vom größten Liebespaar aller Zeiten, und dass Shakespeare im Timing des Plots nur etwas sorgfältiger gewesen wäre. Dann hätten beide Liebenden überlebt. Romeo hätte im Grabgewölbe eine aufwachende Julia gefunden, sie hinter sich aufs Pferd gesetzt und wäre mit ihr nach Mantua geflohen. 

Und dann? Wie hätte es weiter gehen sollen? Wie und wovon hätten sie leben sollen? Eine Apanage von ihren Eltern war mit Sicherheit nicht zu erwarten, und ein soziales Netz, wie es uns heute rettet, stand ihnen auch nicht zur Verfügung.

Das tagtägliche Leben nach dem Traumende des Stücks ist mühsam und banal und oft auch langweilig.

Ephraim Kishon schlug in seiner Komödie Es war die Lerche (1973) folgende Lösung vor: Das einstige Traumpaar lebte in einer kleinen Wohnung in Mantua. Romeo war inzwischen 52 Jahre alt mit einem kleinem Bäuchlein und musste als Fecht- oder Ballettlehrer den Lebensunterhalt für die Familie verdienen; Julia (43 Jahre alt und erste graue Haare) musste sich als Hausfrau um das Kochen und die Wäsche kümmern. Häusliche Streitereien um das Abwaschen, das Aufräumen, um das Einkaufen kamen hinzu. Und zu allem Überfluss kamen dann noch die Vorhaltungen ihrer 14-jährigen pubertierenden Tochter Lucretia: „Romeo und Julia! Was wisst denn ihr zwei von Liebe?“  

Das, was auf das Fallen des Vorhangs folgt, das „normale“ Leben, wenn das Limelight verloschen ist, sieht nun einmal anders aus, als es uns Theater und Kino versprechen. Das tagtägliche Leben nach dem Traumende des Stücks ist mühsam und banal und oft auch langweilig. Es zu zeigen, würde jeden märchenhaften Plot aus Hollywoods Traumfabrik zerstören. Doch das darf nicht sein, und so kommt Kurt Tucholsky in seiner unnachahmlich schnodderigen Berliner Art in seinem Gedicht Danach letztlich zum lapidaren Schluss: „… und darum wird beim happy end / im Film jewöhnlich abjeblendt.“

Foto (c) Cindy Nguyen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert