Von Günter Daubenmerkl
Waren es die Einflüsterungen der Hexen, waren es höhere Mächte, war es sein Ehrgeiz, der Ehrgeiz seiner Frau, oder war es ganz einfach nur die günstige Gelegenheit, die Macbeth dazu brachte, seinen Treueid gegen König Duncan zu brechen? Eben noch als treuer Vasall und Kriegsheld vom König ausgezeichnet, träumt er sofort von einer traumhaften Karriere, als es ihm die Hexen einflüstern. Oder war es dann doch nur sexuelle Hörigkeit, die Macbeth anstachelte, seine Männlichkeit gegen die Verachtung und den Spott seiner Frau durch Taten zu beweisen?
Um König zu werden, wie es ihm die Hexen prophezeit hatten, bricht Macbeth seinen Lehnseid und das Gesetz der Gastfreundschaft: er ermordet seinen König, als der zu Gast auf seiner Burg weilt. Die erste blutige Tat gebiert neue, um die zuerst begangene Untat zu vertuschen. Die Wächter werden erstochen, um die Spuren des Königsmordes zu verwischen, und seinen Kampfgenossen Banquo lässt er ermorden, damit dessen Nachkommen nicht den Thron erben. Macduffs Familie wird ausgelöscht, weil die Hexen vor Macduff warnten – und Macbeth versinkt immer tiefer im Sumpf seiner Bluttaten. Längst hat er den Überblick verloren, ist er nicht mehr Herr seines Tuns, sondern ist im Zugzwang eines anderen ihm überlegenen Spielers. In seiner Phantasie spielt ihn das „Fair is foul, and foul is fair“ der Hexen wuselig wie bei einem Hütchenspiel, sodass er am Ende Recht und Unrecht nicht mehr unterscheiden kann. Nur der Pförtner, der sich selbst als ein Höllenpförtner bezeichnet, behält den Durchblick. Er erkennt den Selbstbetrug, die Schönrederei und den Verrat Macbeths.

Während Macbeth in Schottland eine Schreckensherrschaft errichtet, fliehen die Söhne des ermordeten Königs und die königstreuen Adligen nach England und sammeln dort ein Heer, um Schottland zu befreien. Auch Macduff schließt sich ihnen an und schwört Rache für den Mord an seiner Familie.
Weder Macbeth noch seine Frau können die von ihnen angestrebte Rolle ausfüllen. Ihr Denken und ihre Phantasie werden von den von ihnen begangenen Schreckenstaten beherrscht. Panik ergreift Macbeth, als er während des Banketts den erschlagenen Banquo mit am Tisch zu sitzen wähnt, und Lady Macbeth versucht verzweifelt, sich die Hände vom vergossenen Blut rein zu waschen, wandelt wirr redend im Schlaf und stürzt sich schließlich zu Tode.

Hilf- und orientierungslos und sich selbst überlassen, als seine Frau im Wahnsinn versinkt, wird Macbeth von den Bildern seiner Taten gehetzt und sieht die Sinnlosigkeit seines Tuns: „Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow creeps in this petty pace from day to day […] the way to lusty death.“ Ihn kümmert nun nicht mehr, dass ihn alle verlassen wie die Ratten ein sinkendes Schiff, als sich das englisch/schottische Heer nähert. Zum letzten Mal vertraut er den Weissagungen der Hexen – und täuscht sich ein letztes Mal. Der Wald von Birnam bewegt sich doch nach Dunsinan, und Macduff, der nicht natürlich, sondern durch einen Kaiserschnitt geboren wurde, erschlägt ihn wie einen tollwütigen Hund. Malcolm, der Sohn Duncans, wird zum König ausgerufen.
Die Geschichte von Wunschdenken, Hörigkeit, Leichtgläubigkeit und Realitätsverlust, die in der Nebelwelt des schottischen Hochlandes spielt, zeigt, dass unter der harten Schale des rauen und bewunderten Kriegers dann doch nur ein Schwächling, ein Feigling und ein Verräter steckte, wie es der Pförtner und Macduff jun. ahnungsvoll aussprachen. Im Wahn, unverwundbar zu sein, ist er ein Beispiel für andere sich unverwundbar dünkende Figuren der Weltgeschichte. Ihm fehlt die Phantasie, um die Doppeldeutigkeit der Hexensprüche durchschauen zu können und sich die Folgen seiner Taten auszumalen. Während er sich selbst belügt, sprechen die Hexen wahr.
Foto (c) David Heuberg
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