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director’s note: wie entstehen ideen

Von Jasper Koch

Wie entstehen Ideen? Gerade, wenn man sich an die Inszenierung eines Theaterstücks wagt, das eine über 400-jährige Aufführungsgeschichte mitbringt, ist diese Frage von zentraler Bedeutung. Frei nach dem Klischee des Regie-Genies ist die Erwartung häufig, dass schon zu Beginn des Probenprozesses ein vollständig durchdachtes Konzept mitgebracht wird, das klug und originell ist und Antworten auf alle Fragen des Textes gibt. Dies kann zwar durchaus passieren. Auch ich habe diesen Versuch bei
früheren Inszenierungen unternommen. Allerdings gibt es gute Gründe dafür, sich im Vorfeld der Proben nicht zu stark festzulegen, sowohl auf der textlichen, als auch auf der praktischen Ebene.

Eine der ersten Fragen, die sich mir in der Vorbereitung der Inszenierung stellte, war die nach der Rolle von Lady Macbeth. Im Originaltext stützt sich Macbeth in den ersten beiden Akten massiv auf seine Frau, und dementsprechend ist in vielen Inszenierungen Lady Macbeth zunächst irgendwo zwischen Femme fatale und großer Manipulatorin angelegt. Danach bootet er sie jedoch ziemlich unvermittelt aus, was zu einem unbefriedigenden Ungleichgewicht im Stück führt und ihren Weg in den Wahnsinn schwer nachvollziehbar macht. Hier wurde Hand an den Text gelegt, um aus den Macbeths ein Team zu machen, das erst im Zusammenspiel zu den grausamen Taten der Handlung fähig ist. Auch wenn mit dieser Inszenierungsidee schon im Vorfeld eine Richtungsentscheidung getroffen wurde, funktioniert diese Öffnung des Textes gleichzeitig als ein Zeichen an den Cast, sich ebenfalls kritisch mit dem Text auseinanderzusetzen, eigene Fragen zu formulieren und in die Probenarbeit einzubringen.

Theater ist ein Teamsport.

Der Probenprozess ist genau das: ein Prozess. Genauso, wie kein Schlachtplan den ersten Feindkontakt unbeschadet übersteht, ist es mit den Gewissheiten in der Regel schon im Laufe der ersten Probe vorbei. Die Schauspielenden haben ganz eigene Vorstellungen, wie die Motivation ihrer Rolle aussieht, die Kostümabteilung denkt sich ein überraschendes Farbkonzept aus und die Bühne erwischt einen mit einer abgefahrenen Idee für eine dreistöckige Drehbühne auf dem falschen Fuß. Für das klischeehafte Regie-Genie mit latentem Kontrollzwang ist so etwas natürlich nichts. Versteht man das Theater jedoch als Teamsport – was man in meinen Augen sollte – eröffnen sich wundervolle Möglichkeiten, denn die besten Ideen entstehen meistens in der gegenseitigen Befruchtung kreativer und motivierter Menschen. Insofern sind zu eng gesteckte Vorstellungen und Erwartungen für einen erfolgreichen und wahrlich kreativen Prozess eher hinderlich. Wichtiger (und die besondere Verantwortung der Regie) sind vielmehr geschicktes Filtern, Kuratieren, Integrieren und Weiterentwickeln gemeinsam gefundener Ideen.

Zentral ist bei dieser Ideensuche das Entdecken der Figuren und ihrer Motivation im Text, wobei die Frage des Ursprungs von Ideen entscheidend ist. In Macbeth braucht es lediglich den Satz „All hail Macbeth, that shalt be king hereafter“ von den Hexen, um Macbeth auf die Idee des Königsmordes zu bringen. Dass er möglicherweise auch abwarten könne, ob das Schicksal ihn nicht ohne sein Zutun zum König krönt, kommt ihm auch kurz in den Sinn. Jedoch wird diese Möglichkeit von ihm und Lady Macbeth schnell verworfen, und stattdessen schreiten die beiden quasi direkt und unverzüglich zur Bluttat.

Mit den Gewissheiten ist es in der Regel schon im Laufe der ersten Probe vorbei.

Die Gründe für diesen kühnen Gedankensprung lassen Autor und Stück unbeantwortet; hier müssen sich Regie und Schauspielende auf die Suche machen und sich dabei vielen Fragen stellen. Haben die beiden nur auf einen Anlass für einen schon lange geplanten Mord gewartet? Stehen sie unter dem direkten Einfluss der Hexen? Wie sieht die Machtdynamik zwischen den Ehepartnern aus? Es ist die Suche nach Ideen, die diese Fragen beantworten können, die mich immer wieder hochmotiviert in die Proben schickt, und wenige Dinge sind befriedigender als eine Szene, die plötzlich Sinn ergibt.

Es liegt in der Natur eines solchen Regiestatements, dass es vor dem Ende der Proben geschrieben werden muss. Ein gutes Stück des Prozesses liegt hinter uns, die entscheidenden drei Wochen stehen uns bevor. Angesichts des bisherigen Verlaufs bin ich sehr zuversichtlich, dass wir unserem Publikum viele spannende Ideen präsentieren können. Mit etwas Glück kann man dann nach der Premiere im Publikum die Frage hören: „Wie sind die denn auf diese originelle und interessante Interpretation gekommen?“

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