Zu Shakespeares Zeiten ging man ins Theater, um ein Stück zu hören, nicht um es zu sehen. So spricht man im Englischen von audience, im Deutschen hingegen von Zuschauern.
Macbeth Act II, scene I: Enter Banquo and Fleance, with a torch before him. Ban. How goes the night, boy? Fle. The moon is down. I have not heard the clock. Ban. And she goes down at twelve. Fle. I take’t , ‘tis later, sir Ban. Hold, take my sword. – There’s husbandry in heaven; Their candles are all out. …
Dieser kurze Text erklärt dem Zuhörer, dass es Nacht ist, weder Mond noch Sterne am Himmel zu sehen sind und Mitternacht vorbei. Aber weshalb sagt uns das nicht die Regieanweisung, sondern der Text der Tragödie? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir verstehen, für welche Art Theater und für welche Bühne dieser Text geschrieben wurde.
Macbeth wurde 1606 am Hofe James I. uraufgeführt und später im Globe Theatre in London von The King’s Men, der Theatertruppe Shakespeares, gespielt. Stücke wie Macbeth waren für Bühnen und Zuschauer geschrieben, die sich von den heutigen in vielem unterscheiden.
Das Globe Theatre war eines der wichtigsten Theater Londons. Seine und die Besonderheiten der Bühnen zu Shakespeares Zeit verdeutlicht uns sehr anschaulich die 1999 eröffnete originalgetreue Rekonstruktion in London am Südufer der Themse. Es war ein 20-seitiger Fachwerkbau aus Holz, Lehm und Stroh von etwa 30 Metern Durchmesser mit einem offenen Innenhof von etwa 23 Metern Durchmesser. Der Rundbau hatte drei Geschosse, die auf drei Seiten als Zuschauertribüne dienten und in 20 einzelne, knapp vier Meter tiefe Segmente unterteilt waren. Eine rechteckige Holzbühne, etwa 13 Meter breit und neun Meter tief, reichte bis zur Mitte des nicht überdachten Innenhofes in den Zuschauerraum.
Der Trompeter kündigte den Beginn der Vorstellung mit drei Trompetenstößen an.
Diese Plattform war etwa eineinhalb Meter hoch und an drei Seiten von der Zuschauertribüne umgeben. Nur über der Bühne, getragen von zwei Säulen im vorderen Teil der Bühne, war ein Schutzdach, das die Schauspieler vor Regen und Sonne schützte. Die Unterseite dieses Schutzdaches war mit Ornamenten als Himmel bemalt und diente so auch als Kulisse des heavens. Oberhalb des Daches gab es ein kleines Maschinenhaus, auch hut genannt, mit Hebeapparaturen und Vorrichtungen zur Erzeugung von Donner, Feuerwerk und Glockengeläut. Auch der Trompeter, der den Beginn der Vorstellung mit drei Trompetenstößen ankündigte, trat von der hut auf. Dort war auch die Flagge befestigt, die anzeigte, dass heute gespielt wurde.
Die Rückwand der Bühne war mit Götterbildern, den Musen und antiken Helden bemalt. Links und rechts diente je eine Tür als Auf- und Abgang für die Schauspieler. Zwischen diesen beiden Türen gab es eine weitere, etwas breitere Öffnung. Durch Vorhänge verhängt, war dies eine Art Innenbühne.
Hinter der Bühne diente das Bühnenhaus, das tiring house, als Umkleideraum für die Schauspieler, als Aufenthaltsort zwischen den Auftritten und als Lagerraum für Kostüme und Requisiten. In der vorderen Mitte der Bühnenplattform gab es eine große Klappe, durch die mehrere Personen und ganze Wagen mit Hilfe einer Hebemaschinerie versenkt oder hochgehoben werden konnten. Die Region unter der Plattform galt allgemein als Kulisse für die hell, so auch im Fall des Hexenkessels in Macbeth. Hier war der Auftrittsort für Geistererscheinungen. Eine Art Galerie in der Bühnenrückwand, der lord’s room, wurde als Loge für exklusiveres Publikum benutzt, war aber auch Teil der Spielfläche. Das Hauptgeschehen fand jedoch immer auf der Bühnenplattform statt.
Die Bühne war, bis auf einzelne Versatzstücke wie Lauben, Bäume, Zelte, Statuen, Schatztruhen, bemalte Tücher, Fahnen, Wappen (und wenn nötig einen Thron) kahl.
Die Anlage war mit der Bühne nach Nordosten ausgerichtet. Folglich lag die Bühne am Nachmittag zum Schutz gegen die Sonne im Schatten. Kulissen, wie wir sie heute gewohnt sind, kannte man nicht. Die Bühne war, bis auf einzelne Versatzstücke wie Lauben, Bäume, Zelte, Statuen, Schatztruhen, bemalte Tücher, Fahnen, Wappen (und wenn nötig einen Thron) kahl. Diese Gegenstände dienten ebenso wie die Requisiten (Spiegel, Dolche, Fackeln, Krone) aber nicht der Wiedergabe der Realität, sondern waren eher Hinweise oder Embleme. So konnte eine künstliche Laube einen Garten oder das Paradies darstellen.
Die Kulissen und die aufwändige Bühnentechnik unserer Zeit wurden durch Sprache und Schauspielkunst ersetzt, wodurch die Fantasie des Publikums angeregt wurde. Die farbenprächtigen Kostüme der Schauspieler hatten für das damalige Publikum eine hohe Aussagekraft. Diese Kostüme waren hochwertig, opulent und entsprachen denen der zeitgenössischen Gesellschaft. Häufig wurden sie von adligen Personen, auch vom Hof, gestiftet. Das Publikum konnte somit an der Kleidung den sozialen Rang der Person ablesen. Der Wert der Kostümsammlung eines Theaters war häufig sogar höher als der Wert des Gebäudes selbst.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entsprach die gesellschaftliche Stellung von Schauspielern der von gut situierten Handwerkern oder Bürgern.
Schauspieler waren in Shakespeares Zeit in Berufsschauspielertruppen zusammengefasst. Sie durften nur spielen, wenn sie Diener eines Mitglieds des Hochadels waren, wie The Lord Chamberlain’s Men oder die eingangs erwähnten King’s Men, und deren gesellschaftlichen Schutz genossen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entsprach ihre gesellschaftliche Stellung gut situierten Handwerkern oder Bürgern, und sie besaßen zum Teil ein ansehnliches Vermögen. Nach dem Regierungsantritt James I im Jahr 1603 übernahm dieser die Schirmherrschaft über die bis zu 30 Schauspieltruppen, deren Mitglieder sowohl Schauspieler als auch Kapitaleigner waren. Letztere stellten für gewöhnlich die Schauspieler für Nebenrollen, Bühnenarbeiter, Kassierer und Statisten ein. Die Frauenrollen wurden von Männern gespielt, jüngere Frauen von Knaben, die wie Lehrlinge behandelt wurden. Diese Berufsschauspieltruppen konnten aus bis zu 30 Mitgliedern bestehen.
Das Theaterpublikum entsprach dem Querschnitt der Gesamtbevölkerung. Es setzte sich aus Mitgliedern aller Stände zusammen., Neben Handwerkern und Kaufleuten waren auch Lehrlinge und Studenten, aber auch der Adel und der Hochadel vertreten. Der Theaterbesuch war, kurz gesagt, ein Gemeinschaftserlebnis. Von den damals ungefähr 150.000 Einwohnern Londons gingen rund 20 % regelmäßig ins Theater, 2 % sogar täglich. Das Globe Theatre fasste ungefähr 3000 Menschen. Für einen Penny (soviel kostete damals ein Laib Brot) gab es Stehplätze im Innenhof um die Bühne herum. Hier standen die groundlings. Für einen weiteren Penny erhielt man einen Sitzplatz auf den Galerien. In den oberen, bühnennahen Abteilungen der Galerien saßen die gehobenen Stände und die Galane im sogenannten gentlemen’s room für drei Penny auf Kissen, während für den Adel die Logen auf der Bühne reserviert waren.
Von den damals ungefähr 150.000 Einwohnern Londons gingen rund 20 % regelmäßig ins Theater, 2 % sogar täglich.
Es ging laut zu im Innenhof und auf den Rängen. Die Stimmung entsprach eher der des Publikums bei einem heutigen Fußballspiel, als der in einem heutigen Theater. Händler und Hausierer verkauften ihre Waren vor Beginn des Schauspiels. Während der Vorstellung wurde gegessen und getrunken, man ging umher und unterhielt sich. Mit dem Beginn des Stücks, angekündigt von dem besagten Trompeter, konzentrierten sich die Zuschauer auf das Bühnengeschehen.
Publikum und Schauspieler kamen sich sehr nahe, denn niemand war mehr als 11 Meter von der Bühne entfernt, die groundlings sogar noch viel weniger. Im Gegensatz zu den heute üblichen Guckkastenbühnen stand der Schauspieler inmitten der Zuhörer. Er war von allen Seiten ansichtig. Dabei bildete das Publikum mit seinen Reaktionen nicht wie heute ein Gegenüber zum Schauspieler, sondern auch den Hintergrund für sein Spiel, das sehr aufmerksamen sofort mit Gelächter, Tränen, Zischen und begeistertem Beifall oft sehr lautstark kommentiert wurde.
Jeder Stand war an seiner Kleidung zu erkennen.
Der einzelne Zuschauer hatte durch den runden Theaterbau nicht nur die Bühne im Blick, sondern konnte auch die anderen Besucher beobachten. Jeder Stand war an seiner Kleidung zu erkennen: die Handwerker und Lehrlinge an den grauen wollenen Jacken und Hauben, Wollmützen oder Kappen und an den Lederschürzen ihrer Zünfte, die Kaufleute und Bürger an ihrer blauen Kleidung, die Vornehmen und Adligen an Samt und Seide und den hohen Hüten und großen Federn. Und über der Bühne erkannte man den Hochadel an ihren Roben aus Gold, Samt und Seide. Der Theaterbesuch folgte, wie bereits von Ovid beschrieben, der Regel „Die zum Sehen kommen, kommen, um gesehen zu werden“.
Gespielt wurde an Werktagen, nachmittags um 14.00 Uhr. Eine Aufführung dauerte zwei bis drei Stunden. Nach den drei Trompetenstößen, die den Beginn der Vorstellung ankündigten, begann das Stück oft mit einem Prologsprecher, der in die Handlung einführte. Der wichtigste Unterschied zum heutigen Theaterbesuch war jedoch, dass es taghell war. Es gab keine künstliche Beleuchtung im Theater, und es gab weder einen Vorhang, noch Kulissen. Nur der Text und die Schauspieler vermittelten dem Publikum die Informationen, die uns heute oft durch Kulissen veranschaulicht werden. Der Zuschauer konnte sich nicht im dunklen Zuschauerraum in seinem Sitz zurücklehnen und die Eindrücke der Vorstellung auf sich wirken lassen, denn er selbst war ja Teil der Vorstellung.
Der wichtigste Unterschied zum heutigen Theaterbesuch war, dass es taghell war.
So wird es verständlich, weshalb die Schauspieler in dem anfänglich zitierten kleinen Dialogausschnitt die Szene so sorgfältig schildern mussten: mitten am Tag musste die Illusion einer Nacht erzeugt werden. Der Zuschauer musste genau zuhören, mitdenken und zuschauen, um dem gesprochenen Wort, der Gestik, der Mimik und dem Tonfall alle Informationen des Textes zu entnehmen, damit er das Geschehen verstehen und es mit seiner Fantasie ergänzen konnte. Durch seine Reaktion auf das Bühnengeschehen wurde er dann selbst zum Mitspieler.
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