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die macbeths – ein modernes aufsteigerpaar

Von Madeleine Lange

Paartherapeutin für die Macbeths möchte man wirklich nicht sein. Die vielleicht berühmtesten Eheleute der englischsprachigen Theatergeschichte würden in ihrem emotionalen Gepäck nicht nur eine Menge unverarbeiteter Schuldgefühle (Sie wissen schon: mehrfacher Mord, falsche Zeugenaussagen usw.) in die Praxis schleppen und mit gegenseitigen Vorwürfen nicht sparen (“I shame to wear a heart so white“ – “When now I think you can behold such sights and keep the natural ruby of thy cheeks“). Während derlei vermutlich noch zum Alltag einer Therapiesitzung gehört, könnte vielmehr der mörderische Ehrgeiz des Paares der Beratungsinstanz durchaus Sorgen bereiten, sich mit den falschen Nachfragen ins Abseits zu manövrieren.

Mehrere Morde auf dem gemeinsamen Konto laden nicht gerade dazu ein, dem Paar allzu konfrontativ zu begegnen. Immerhin: Eingespieltes Teamwork möchte man Mr und Mrs Macbeth bis zu einem gewissen Maße attestieren, obwohl der sensible Zuschauer und/oder die Leserin bereits in Akt I eine gewisse, nun ja, Toxizität in der Beziehung erspürt. Nicht erst seit der Netflix-Serie House of Cards, deren Protagonisten Francis und Claire Underwood ganz bewusst am schottischen Shakespeare-Paar angelehnt sind, lässt sich auf Partys mit weltläufiger Nonchalance diskutieren, ab welchem Moment gemeinsamer politischer Ehrgeiz in selbstbezogenen Karrierismus umschlägt. 

Jede Ehe braucht Gemeinsamkeiten, und in dieser ist es eben der Ehrgeiz.

Die Macbeths stellen einen kaltblütigen Opportunismus unter Beweis, der sogar die ambitioniertesten Vertreter des Neoliberalismus erschaudern lässt. Als Lady Macbeth während ihres ersten Auftritts von den Prophezeiungen über die Zukunft ihres Mannes liest, stellt sich ihr nicht die Frage, ob dieser vielleicht zu viel Met getrunken habe. Vielmehr stachelt diese Information auch ihre Ambitionen an. Allerdings macht ihr der aus ihrer Perspektive anfällige Charakter ihres Mannes Sorge – genau dieser, so fürchtet sie, könnte ihnen beim beruflichen Aufstieg, in diesem Fall auf den schottischen Thron, im Wege stehen. 

Viel ist darüber geschrieben worden, wessen Ehrgeiz größer sei – der von Lord oder der von Lady Macbeth, oder wer wen zu was anstiftet. An dieser Stelle würde die Eheberaterin vielleicht festhalten, dass laut Dramaturgie Macbeth den Prophezeiungen der Hexen, die ihm wie zufällig an einem nebligen Tag über den Weg laufen, von sich aus Vertrauen schenkt. Dass er das Zeug zum König besitze, daran hegt er selbst zunächst keinerlei Zweifel, und er wird von niemandem als sich selbst auf den gedanklichen Königspfad geleitet. 

Wie kaum ein anderes Shakespeare-Paar teilen sich die beiden sowohl Aufgaben – als auch Schuld.

Jede Ehe braucht Gemeinsamkeiten, und in dieser ist es eben der Ehrgeiz. Lady Macbeth wird jedoch von der Frage umgetrieben, ob ihr Gatte überhaupt das psychische Rüstzeug mitbringt, seinen Ambitionen konsequent zu folgen. Übernimmt sie hier das, was man als „Mental Load“ in modernen Paarbeziehungen beschreibt? All die sogenannten unsichtbaren Aufgaben, die meist die Frauen wahrnehmen: die Koordination der familiären Zahnarzttermine, die Termine des Schulbasars, für den man bunt verzierte Cookies herstellen muss, während man/frau wie selbstverständlich den Waschmittelvorrat nicht aus den Augen verliert, die Handtücher regelmäßig tauscht und für das anstehende Dinnerdate im Freundeskreis an mögliche Lebensmittelunverträglichkeiten denkt. Mit derartigen Alltäglichkeiten schlägt sich die zukünftige schottische Königin zwar nicht herum, dennoch übernimmt sie, wie selbstverständlich, die planerischen Elemente für die Karriere ihres Ehemannes. Aus reiner Vorsicht empfiehlt es sich trotzdem, lieber kein von ihr gebackenes Shortbread zu probieren.

Wie selbstverständlich entwickelt Lady Macbeth in Akt I die ersten Motivationspakete für ihren Gatten, wohlwissend, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine umso stärkere Frau steht. Nicht ohne Grund nennt Macbeth sie “dearest partner of greatness”, denn auch er scheint zu
ahnen, dass er ohne das entsprechende Coaching zwar ein hochgelobter Truppenführer auf dem Schlachtfeld sein könne, der Königsthron aber wohl ein ferner Traum bliebe. 

Wie kaum ein anderes Shakespeare-Paar teilen sich die beiden sowohl Aufgaben – als auch Schuld. Unzählige Interpreten sehen Lady Macbeth gar als die treibende Kraft. Mit der vielzitierten Unsex-me-here-Passage präsentiert sie sich als ebenbürtig ehrgeizig, zu diesem frühen Zeitpunkt gar noch intensiver als die Titelfigur. Sie stellt zu keiner Zeit die Weissagung aus dem Nebelfeld in Frage, schließlich könnte sie ja auch, ganz Claire Underwood, ab einem gewissen Zeitpunkt ihre eigenen Ambitionen auf die Krone hegen. Trotzdem bleibt Lady Macbeth die Organisatorin im Hintergrund, die ihrem Mann auch in schwierigsten Situationen den Rücken freihält. Denn Angstzustände und Halluzinationen (“Is this a dagger that I see before me?”) erweisen sich für das künftige Königspaar alsbald als potentielle Stolpersteine.

Das offensichtlich fast blinde Verständnis, mit dem sie ihr gemeinsames Ziel verfolgen, ist ein seltenes Gut selbst in heutigen Paarbeziehungen.

Das offensichtlich fast blinde Verständnis, mit dem sie ihr gemeinsames Ziel verfolgen, ist ein seltenes Gut selbst in heutigen Paarbeziehungen. In ihrer ersten gemeinsamen Szene braucht es keine 25 Zeilen bis feststeht, dass Macbeth und Lady Macbeth die Verifizierung der Prophezeiung in ihre eigenen Hände nehmen, indem sie König Duncan gewaltsam aus dem Weg räumen. Als Lady Macbeth die Bühne mit dem Worten “leave all the rest to me” verlässt, scheint der weitere Weg geebnet.

Aufgabenteilung par excellence vollzieht das Paar in den folgenden Szenen; die Karriereleiter räumen sie zunächst gemeinsam von Hindernissen frei. So wenig wie der Mord an König Duncan durch Macbeth ohne seine Frau im Hintergrund denkbar ist, so wenig ist auch die Figur Lady Macbeth ohne ihren Mann vorstellbar. Wenn sie am Ende des ersten Aktes fragt: “What cannot you and I perform upon th’ unguarded Duncan?” dann beobachten wir als Publikum ein Team, das den Aufstieg schon so gut wie vollzogen – und in just dem Moment sein Seelenheil verspielt hat.

Wie könnte es anders sein: Die Erfüllung ihrer Ambitionen legt erste Risse in der Beziehung offen. Zwar bleiben die Macbeths partners in crime, doch die psychologischen Folgen des Königsmords treiben die Eheleute auseinander. Da hilft auch keine noch so gute Kommunikation, und vermutlich wäre auch der Besuch beim Beziehungscoach zu diesem Zeitpunkt längst zu spät. Muss Lady M. nach Duncans Ermordung noch seelische Erstversorgung leisten (“Consider it not so deeply“), geht Macbeth den folgenden blutigen Schritt allein. Seine Frau weiht er in die Pläne zum „Projekt Banquo“ gar nicht erst ein, mit dem er eine andere königliche Linie zu verhindern sucht. 

So virtuos der Aufstieg auf den Thron von beiden eingefädelt wurde, so perfekt zerschmettert der Erfolg das, was von dem vormaligen Traumpaar zu diesem Zeitpunkt noch übrig ist. 

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wäre sowohl dem Ehemann als auch der Ehefrau ein pathologischer Ehrgeiz zu attestieren, der sie den oder die Partner/in aus den Augen verlieren lässt. Als zunächst Macbeth den eben erst getöteten Banquo plötzlich am Festtisch zu sehen glaubt, und später Lady Macbeth in einer nächtlichen Vision das Blut Duncans von ihren Händen zu waschen versucht, ist das eben noch so starke „Team Macbeth“ durch seine eigene Schuld zerstört. So virtuos der Aufstieg auf den Thron von beiden eingefädelt wurde, so perfekt zerschmettert der Erfolg das, was von dem vormaligen Traumpaar zu diesem Zeitpunkt noch übrig ist. 

Wenn Lady Macbeth des Nachts durch die Flure zieht, den ersten Mord innerlich erneut durchlebend, dann verweisen ihre Worte “Out, damned spot” auch darauf, dass ihre Ehe ebenfalls für immer befleckt sein wird. Dramaturgisch perfekt getimed ereilt Macbeth die Nachricht vom Tode seiner Königin in Akt V kurz bevor die zweite Prophezeiungsrunde wahr wird (zur Erinnerung, das ist die mit dem sich bewegenden Wald und dem Mann, der von keiner Frau geboren sei). Beinahe scheint es, als hätten die Hexen aus reiner Fürsorge verschwiegen, dass König Macbeth geschlagen wird, nachdem seine Frau ihren letzten Atemzug getan hat.

Vielleicht hätte man doch besser einen Termin für die Beziehungsberatung freiräumen sollen, aber dafür hatte Lady Macbeth wohl keinen Kopf frei. Kein Wunder, bei ihrer langen To-do-Liste.

Foto (c) David Heuberg

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