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the weïrd sisters: geschichtenerzählung, eine frage des geschlechts?

Von Lydia Preusch

Vormals als ungefährlich eingestuft, galt die Hexenkunst im Laufe des späten Mittelalters als Ketzerei und wurde verfolgt, da sie die christliche Weltordnung und die Macht staatlicher Institutionen bedrohte. Nur die Kirche bot den Weg zur Erlösung an. Personen, die der Hexenkunst bezichtigt wurden, galten als Teufelsanbeter:innen, wobei Frauen den größten Teil dieser Gruppe ausmachten. Die Hexenjagd wurde in der Folgezeit eine Attraktion und beschwichtigte die Massen. Die Kirchen Europas nutzten die Jagd auf vermeintliche Teufelsanhänger:innen dazu, zeigen zu können, dass nur sie die Fähigkeiten hatten, das Böse und Ungläubige zu bezwingen. Die Verurteilung der als schuldig Befundenen erfolgte aber durch säkulare Gerichte.

Auffällig ist dabei, dass die Hexenjagd vor allem in Ländern betrieben wurde, die wie Deutschland und England von religiösen Zerwürfnissen zwischen christlichen Glaubensrichtungen geprägt waren. Die Hexenjagd sollte dadurch die eigene Vormachtstellung der Dogmen und moralischen Integrität stärken. Auch waren der Hexerei bezichtigte Personen ideale Sündenböcke für Pestepidemien, Hungersnöte, Kriege oder Naturkatastrophen, durch die die mittelalterlichen Gemeinschaften in Unsicherheit und Angst versetzt wurden. Die Verbrennung wahrte somit die gewohnte Ordnung und stellte die Stabilität wieder her. Das Gute triumphierte so über das vermeintlich Böse, die Andersartigkeit.

Frauen, die außerhalb ihrer zugeschriebenen Rollen agierten, galten nicht als solche, da ihr Verhalten nicht dem traditionellen passiven Rollenbild entsprach.

Mutmaßliche Hexen wurden von ihren Jägern nicht als Frauen betrachtet, sondern als von Dämonen besessene Wesen. Frauen, die außerhalb ihrer zugeschriebenen Rollen agierten, galten nicht als solche, da ihr Verhalten nicht dem traditionellen passiven Rollenbild entsprach. Jetzt wurden auch einfache Frauen zum ersten Mal öffentlich wahrgenommen. Durch die Hexenjagd hatte nun auch der Staat unmittelbaren Einfluss auf die Maßregelung der Frauen, nicht nur die Väter und Ehemänner wie bisher.

Einhergehend mit der Ahndung von Hexerei wurden Ehebruch, Unzucht und Inzest als moralisches Vergehen strafbar. Durch das Ehegelübde ging die Frau in den Besitz des Ehemannes über, dem sie zu Gehorsam verpflichtet war. Das Verbot „unzüchtigen Handelns“ war eine Folge des Hexenglaubens, galt doch die Regel, dass Hexen ihren Pakt mit dem Teufel durch den sexuellen Akt vollzogen. Sexualität und „verführerisches Aussehen“ verliehen Frauen ihre vermeintliche Macht über Männer, welches „the Original Sin“ miteinbezieht – die weibliche Schwäche gegenüber der Versuchung, die zur Verbannung von Eva und Adam aus dem Paradies führte.

Durch die Hexenjagd hatte nun auch der Staat unmittelbaren Einfluss auf die Maßregelung der Frauen, nicht nur die Väter und Ehemänner wie bisher.

Bei genauerer Betrachtung sind die Verführungskunst und die vermeintlich passive Gesellschaftsrolle der Frau merkwürdige Gegensätze. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Hexen als übernatürliche und gefährliche Wesen jenseits der binären Geschlechterrollen als real existierend angenommen wurden. Diese ambivalente Rolle der Hexen macht sich Shakespeare zu Nutze, um die Geschichte über Macbeth zu erzählen. Die Hexen fungieren dabei nicht nur als die Initialzündung der Erzählung, sondern auch als Schwelle zur magischen Welt.

Die Hexen symbolisieren das Bedürfnis nach Rat und Unterstützung in Zeiten von Unsicherheit. Die hervorgerufenen Ängste sollen beschwichtigt und das eigene Begehren gefördert werden. Als Grenzgänger:innen existieren die Hexen sowohl in der Welt der Magie als auch der der Menschen. Diese Welten existieren parallel und verlaufen getrennt nebeneinander. Die unsichtbare Grenzlinie, die von den Hexen durchbrochen wird, trennt Ordnung und Chaos. Die Grenzüberschreitung der Hexen bringt unweigerlich Chaos mit sich und lässt Duncans stabile Monarchie durch das Handeln der Macbeths im Chaos versinken. Die weïrd sisters verändern all jene, die ihnen begegnen. Wer einmal die Schwelle zur Magie übertreten hat, ist nicht mehr dieselbe Person. Macbeth wird durch seine eigenen Entscheidungen und die daraus resultierenden Handlungsweisen zum psychotischen Despoten.

Die Grenzüberschreitung der Hexen bringt unweigerlich Chaos mit sich und lässt Duncans stabile Monarchie durch das Handeln der Macbeths im Chaos versinken.

Die Hexen greifen jedoch niemals aktiv in das Geschehen ein, sondern beeinflussen Macbeths Handeln durch ihre Weissagungen, die Ambitionen und Wünsche in ihm wecken. Bemerkenswert ist dabei die Akzeptanz und Anerkennung der Existenz dieser Parallelwelt samt ihrer übernatürlichen Gestalten durch Macbeth. Die Absichten der Hexen werden nicht hinterfragt, obwohl diese bis zum Schluss undurchschaubar bleiben. Sie prophezeien zwar den gesellschaftlichen Aufstieg in der Zukunft, warnen aber auch vor den Konsequenzen. Zeitgleich bleiben die Geschlechteridentitäten der Hexen uneindeutig, wodurch sie konstruierte Geschlechterrollen aufweichen und in Frage stellen. Gerade diese Abwesenheit einer klaren Geschlechteridentität könnte Macbeths mangelnden Argwohn erklären, der nur in feststehenden Geschlechterrollen denkt.

Das Streben der Macbeths nach Macht stürzt in Shakespeares Drama Schottland in eine Krise. Alle potentiellen Bedrohungen ihrer Machtstellung werden von Macbeth skrupellos gewaltsam niedergeschlagen. Auf der Metaebene spiegelt das Stück den Zeitgeist der frühen Moderne Englands wider. Es ist die Zeit des Wandels und der Unsicherheit, und Shakespeare zeigt die Hexen und ihre Welt als Gegenwelt zur bestehenden Gesellschaft. Die weïrd sisters sind die Antithese zu rigiden Machtstrukturen, die Stabilität und Ordnung versprechen, diese jedoch nicht aufrechterhalten können. Die Hexen weisen auf Fehler im System hin. Sie sind biegsam und anpassungsfähig und ihre Macht kann daher im Gegensatz zur feststehenden, strukturierten Monarchie kaum gebrochen werden

Die Hexen fungieren als gerissene Manipulatorinnen, die mit vagen Andeutungen Macbeth auf den Pfad in die Anarchie schicken. Sie agieren in ihren eigenen Rollen als übernatürliche Wesen, um die Geschichte vor sich her zu treiben. In unserer Inszenierung agieren sie zudem verkleidet als Bedienstete und sind daher fast konstant anwesend, um das Treiben zu beobachten und unbemerkt beeinflussen zu können.

Für die weïrd sisters ist die Macbeth-Erzählung ein soziales Experiment, durch das sie die Stabilität der Ausgangsordnung testen.

Aber wer hält die Zügel in der Hand? Sind es die Adligen, deren Auftreten und Erscheinungsbild auf Macht und Einfluss deutet? Oder sind es doch die Hexen, die die Geschichte initiieren und lenken? Im hierarchischen Machtgefüge schlüpfen die Hexen durch die Lücken und bringen die Erbfolge Schottlands durcheinander. Die daraus resultierende Anarchie zeigt, dass Ordnung eine konstruierte Illusion ist, deren Stabilität nur Bestand hat, solange der Glaube an die Monarchie ungebrochen ist.

Macbeths Tod stellt die Ordnung nur scheinbar wieder her. Sie ist fragil, da nun sichtbar ist, dass sie nicht vor äußeren Einflüssen gefeit ist. Monarchie ist ein veränderliches Konzept, deren Herrscher beeinflussbar sind. Das Vertrauen in Malcom, Duncan’s Sohn, der das Erbe seines Vaters antritt, ist nicht mehr bedingungslos.

Für die weïrd sisters ist die Macbeth-Erzählung ein soziales Experiment, durch das sie die Stabilität der Ausgangsordnung testen. Sie spielen mit ihren Versuchsobjekten und sind omnipräsent. Während die Ereignisse ihren Lauf nehmen, sehen sie zu. Ihr übernatürliches Auftreten verleiht ihnen Autorität gegenüber Macbeth, der nach Unterstützern für seine Ambitionen sucht. Geblendet vom Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verlässt er sich auf die Aussagen der Hexen, die aber seine Machtwünsche gegen ihn ausspielen.

Der Titel ihrer Versuchsreihe lautet: Was passiert, wenn die Ordnung ins Chaos versinkt? Dabei wirft die Handlung Fragen auf über den möglichen Zusammenprall von Loyalität gegenüber der Monarchie und dem Streben nach eigener Bedeutsamkeit. Bis zum Schluss bleibt die Beziehung zwischen Magie, Begierde und freiem Willen unklar. Hat Macbeth eine wirkliche Wahl, sich den Weissagungen zu entziehen oder hat die Magie ihn fest in ihrem Bann? Ist das Experiment geglückt? Fast alle Prophezeiungen der Hexen haben sich zum Ende des Stücks erfüllt, doch Macbeths Schottland ist nicht mehr dasselbe wie zu Beginn des Dramas.

Foto (c) David Heuberg

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