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susan glaspell – die vergessene literatin

Von Marina Franken

Im Jahr 1931 gewann Susan Glaspell den Pulitzer-Preis für Drama. In den 1910er Jahren gründete sie eine der einflussreichsten Theatergruppen Amerikas und entdeckte den bis heute berühmten Eugene O’Neill. Und doch genießt sie nicht dieselbe Bekanntheit wie andere Schriftsteller*innen mit ähnlichen Erfolgen. Der renommierte britische Theaterkritiker Michael Billington nannte sie einmal „American drama‘s best-kept secret.“ Wie kann es sein, dass eine so erfolgreiche und bedeutende Frau heute nahezu unbekannt ist?

Versucht man, über Google die „best known american playwrights“ herauszufinden, stößt man auf eine Liste von 51 Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Ganz oben auf der Liste, klar: Eugene O’Neill, Arthur Miller, Tennessee Williams und Thornton Wilder. Aber auch auf den anderen Seiten, die von Google vorgeschlagen werden, z. B. die „50 American Playwrights That Everyone Should Know“ taucht Susan Glaspell nicht auf. Wie aussagekräftig sind diese Ergebnisse? Forscher*innen der New York University fanden 2022 heraus, dass genderneutrale Suchbegriff e bei Google häufig zu einer überproportionalen Repräsentation von männlichen Suchergebnissen führt. Sieht es also bei den “best known female American playwrights” besser aus? Jein. In der von Google kuratierten Liste taucht sie nicht auf, allerdings bei den „12 Early Twentieth Century Female Playwrights You Should Know“ und bei den „18 Women Playwrights Who Won The Pulitzer Prize.“

In der von Google kuratierten Liste taucht sie nicht auf.

Wer also war Susan Glaspell? Sollten wir sie kennen? Susan Glaspell wuchs Ende des 19. Jahrhunderts im Mittleren Westen der USA auf und verdiente bereits mit 18 Jahren ihr Geld als Journalistin. Zwei Jahre später war sie eine von weniger als zwei Prozent der amerikanischen Frauen, die an einer Universität studierten. Während dieser Zeit schrieb sie für das Literaturmagazin der Uni und arbeitete weiter als freie Journalistin. Nach ihrem Abschluss bekam sie eine feste Stelle als Gerichtsreporterin – ebenfalls unüblich zu dieser Zeit, in der es wenige weibliche Journalistinnen gab und noch wenigere, denen von ihren männlichen Vorgesetzten mehr zugetraut wurde als die „woman’s page.“ Einer der Gerichtsprozesse, den sie als Journalistin begleitete, inspirierte sie später zu ihrem Einakter Trifles.

By New York Public Library – New York Public Library, Public Domain

Mit 24 Jahren kündigte Susan Glaspell ihren Job als Journalistin, um sich auf das Schreiben von Fiktion zu konzentrieren – vor allem ihre Kurzgeschichten waren von Anfang an sehr beliebt und wurden in vielen Zeitschriften veröffentlicht. 1909 zog sie nach Chicago und veröffentlichte ihre ersten Romane – auch diese wurden von der Kritik hochgelobt. So schrieb die New York Times über ihren zweiten Roman The Visioning: „it does prove Miss Glaspell’s staying power, her possession of abilities that put her high among the ranks of American storytellers.”

Im Sommer 1915 gründeten sie und ihr Mann George Cram Cook die experimentelle Theatergruppe Provincetown Players, für die Glaspell auch Trifles schrieb. Mit einigen befreundeten Künstler*innen und Schriftsteller*innen verbrachten sie ihren Sommer in Provincetown. Die Gruppe kritisierte die Kommerzialisierung und die ihrer Meinung nach immer gleichen Stücke am Broadway. Sie wollten eine Alternative schaff en und schrieben Einakter, die sie anschließend in einem alten Fischereigebäude in Provincetown aufführten. Die Theaterabende waren so erfolgreich, dass sie das Projekt im folgenden Jahr fortsetzten. Im zweiten Jahr stieß Eugene O’Neill zur Gruppe der Provincetown Players. Nach zwei Sommern in Provincetown brachten sie das Projekt nach New York, um dort eine Bühne zu schaffen, wo Schriftsteller*innen weiterhin die Möglichkeit hatten, ohne kommerziellen Druck Stücke zu schreiben und zu produzieren.

Eine feministische und erfolgreiche Schriftstellerin passte nicht in ein Weltbild, in der Frauen in die häusliche Sphäre verbann wurden.

Die folgenden Jahre ihres Lebens waren weiterhin von ihrer schriftstellerischen Produktivität geprägt: Insgesamt schrieb sie fünfzig Kurzgeschichten, neun Romane, fünfzehn Theaterstücke und eine Biografie über ihren Ehemann, der 1924 in Griechenland verstarb. 1931 bekam sie den Pulitzer Preis für ihr Theaterstück Alison’s House, welches vom Leben der amerikanischen Poetin Emily Dickinson inspiriert war.

Nach ihrem Tod 1947, während in der Nachkriegszeit die Ideen des „American Dream“ dominierten und die traditionellen Geschlechterrollen erstarkten, geriet Susan Glaspell in Vergessenheit. Ihre Werke wurden nicht weiter gedruckt. Eine feministische und erfolgreiche Schriftstellerin passte nicht in ein Weltbild, in de Frauen in die häusliche Sphäre verbann wurden. Sofern der Name Susan Glaspell überhaupt auftauchte, war sie “die Frau von“ George Cram Cook, die „Unterstützerin“ der Provincetown Players oder „eine Freundin von“ Eugene O’Neill – alles traditionell „weibliche“ Rollen, die ihr von außen zugeschrieben wurden.

Dass Susan Glaspell und ihr Werk heute überhaupt wieder bekannter werden, liegt vor allem an der amerikanischen Theater-Professorin Linda Ben-Zvi, die Ende der 1970er Jahre in der Library of Congress in Washington Glaspells Werk wiederentdeckte und von der schieren Masse an Veröffentlichungen beeindruckt war. Sie begann sich zu fragen, wer Susan Glaspell war und warum sie als Professorin für Englisch und Theater bisher nichts über sie und ihr Werk wusste. Dies war der Startpunkt ihrer Recherche, die zu einer knapp vierhundertseitigen Biografie wurde. Trotzdem warnt sie davor, sie als „Retterin“ von Glaspells Vermächtnis zu sehen: Glaspell auf ein Opfer patriarchaler Auslöschungsversuche zu reduzieren, würde ihrer eigentlichen Identität, nämlich die einer der bedeutendsten Feministinnen der 1910er Jahre, nicht gerecht werden.

Ben-Zvi war bei ihrer Arbeit an Glaspells Biografie vor allem von Susan Glaspell als „Pionierin“ inspiriert: Mit Glaspells Arbeit bei den Provincetown Players wirkte sie mit an der Neudefinition des modernen Dramas. Sie erweiterte die Möglichkeiten dessen, was auf der Bühne gezeigt und besprochen wurde und schuf eine eigene, unkonventionelle Dramaturgie, die sich von den damals verfügbaren Modellen löste. Mit ihren Stücken war sie außerdem die Wegbereiterin für eine neue Art und Weise, das Leben und die Herausforderungen von Frauen darzustellen. Ihre Stücke befassen sich mit starken Frauen, ihren Erfahrungen und Beziehungen sowie ihrem Streben nach Selbstverwirklichung und Freiheit in einer patriarchalen Gesellschaft.

Susan Glaspells Umgang mit feministischen Themen, die Darstellung starker Frauenfiguren und ihre Innovationskraft im Drama machten sie zu eine bedeutenden Figur ihrer Zeit. Glaspells spätere Marginalisierung spiegelt die systemische Tendenz wider, Frauen in der Literatur- und Theatergeschichte zu unter- schätzen. Susan Glaspell lebte und wirkte vor genau hundert Jahren. Ihre Perspektive ist nicht nur als Zeugnis ihrer Zeit sondern auch heute noch relevant – eine gute Gelegenheit also, „American drama‘s best-kept secret“ endlich zu lüften.

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