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geplatzte seifenblasen – der „american dream“

Von Günter Daubenmerkl

Kurz vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen wurde im CNN eine Umfrage veröffentlicht, aus der hervorging, dass 61% der Befragten die besten Jahre für Amerika noch voraus in der Zukunft liegen sahen. Nur 34% glaubten, dass Amerika seine beste Zeit bereits hinter sich habe. Dieses Umfrageergebnis demonstriert einen ungebrochenen Optimismus in der amerikanischen Bevölkerung. Es scheint ein fernes Echo vom „American Dream“ zu sein, diesem werbewirksamen Traumgespinst, das Millionen von Europäern über den Atlantik lockte. Noch heute kann diese Idee vom „Americanism“ den Amerikanern – und natürlich auch den Amerikanerinnen – offensichtlich einreden, dass sie in einem Land leben, in dem alle die gleichen Chancen hätten und als freie Menschen durch eigene Anstrengung und Arbeit einen besseren Lebensstandard erreichen könnten: „From rags to riches“, vom Tellerwäscher zum Millionär, ist auch heute noch die Storyline für den „American Dream.“

Aber in einer immer komplizierter werdenden politischen, ökonomischen und ökologischen Weltlage muss dieser vollmundig zur Schau getragene optimistische Blick in die Zukunft eher als das Pfeifen in einem nachtdunklen Wald verstanden werden, mit dem man sich Mut macht. Auch im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ sind für die meisten Amerikaner die Möglichkeiten an ihre Grenzen gestoßen. Das Wahlergebnis, das der optimistischen Meinungsäußerung tags darauf folgte, lässt jedenfalls entgegen allen positiven Visionen der Bevölkerung eine latente Angst vor einer unsicheren Zukunft vermuten: Gewählt wurde ein Kandidat, der für eine Politik eintritt, bei der sich Amerika in alter Siedlertradition zur Verteidigung in eine Wagenburg zurückzieht.

Aber in einer immer komplizierter werdenden politischen, ökonomischen und ökologischen Weltlage muss dieser vollmundig zur Schau getragene optimistische Blick in die Zukunft eher als das Pfeifen in einem nachtdunklen Wald verstanden werden, mit dem man sich Mut macht.

Die Wagenburg, diesmal nicht aus Planwagen errichtet, sondern aus nostalgischen Reminiszenzen an eine einfachere und übersichtlichere Vergangenheit, widerspricht dabei allen rosigen Zukunftsträumen, die vor der Wahl geweckt wurden. Sie lässt den vollmundigen Optimismus anzweifeln, der laut Umfrage in der Bevölkerung herrscht, denn Isolationismus, Schutzzölle und die ungebremste Ausbeutung der Naturressourcen – allesamt erklärte Regierungsziele des neu-gewählten Präsidenten – sind veraltete Konzepte der Staatsführung. Sie sind in einer sich zunehmend verändernden Welt keine zuverlässigen Wegweiser mehr, um Amerika auf seinem Weg in eine rosige Zukunft zu leiten.

James Truslow Adams hat 1931 in The Epic of America den Begriff vom „American Dream“ geprägt, der Idee von einem Land, in welchem „life should be better and richerand fuller for everyone, with opportunity for each according to ability or achievement.“ Es ist der Traum von einer “social order in which each man and each woman shall be able to attain to the fullest stature of which they are innately capable, and be recognized by others for what they are, regardless of the fortuitous circumstances of birth or position“. Dieser Traum ist auf der Prämisse der Declaration of Independence gegründet, dass „all men are created equal“ und sie von Geburt an mit unveräußerlichen Rechten wie „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“ ausgestattet seien.

Es waren traumhafte Startbedingungen für die viele Menschen in Europa, die religiös oder politisch verfolgt wurden oder chancenlos in Hunger und Armut, zum Teil sogar noch als Leib eigene leben mussten. Allein von Hamburg aus traten mehr als fünf Millionen Menschen die Reise über den Atlantik an, angezogen von der Aussicht auf Freiheit – die Hallen der „Ballinstadt“, die Auswandererhallen auf der Veddel in Hamburg, erzählen noch heute davon.

Am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, zu Beginn der großen Einwanderungswelle wurde von den Malern die Natur Amerikas noch als erhaben, als sublim dargestellt, die Menschen dagegen winzig und unbedeutend. Einige Jahrzehnte später, als der Westen „erobert“ war, als die Eisenbahn und Highways anstelle der Planwagentrecks die Great Plains und die Rocky Mountains durchzogen, waren die Claims abgesteckt, war der natürliche Reichtum Amerikas unter wenigen Glücklichen verteilt. Die weniger Erfolgreichen lebten in den engen Straßen der Städte und unter ähnlich prekären Verhältnissen wie zuvor in Europa, wie es uns 1913 George Bellows in seinem Bild Cliff Dwellers zeigt.

1930, am Vorabend der „Great Depression“, malte Grant Wood das Doppelportrait American Gothic. Das Bild wird heute als eine der Ikonen der amerikanischen Kunst bezeichnet – und ist zugleich das Abbild des zerbrochenen „American Dream.“ Es zeigt einen Farmer und seine unverheiratete Tochter, die vor ihrem Haus abgebildet sind, das im „Rural Gothic Style“, einer ländlichen Abart des „Gothic-Revival“-Stils des ausgehenden 18ten Jahrhunderts gebaut ist. Die Frau trägt eine Schürze über einem hochgeschlossenen schwarzen Kleid, der Mann, der eine Heugabel fest umklammert hält, eine
schwarze Anzugjacke über einem Overall und einem kragenlosen Hemd.

Einige Jahrzehnte später, als der Westen „erobert“ war, als die Eisenbahn und Highways anstelle der Planwagentrecks die Great Plains und die Rocky Mountains durchzogen, waren die Claims abgesteckt, war der natürliche Reichtum Amerikas unter wenigen Glücklichen verteilt.

Dem Paar, das uns als unzugänglich, mürrisch und desillusioniert erscheint, ist vom „Amerikanischen Traum“ nur die Arbeit geblieben. Offensichtlich müssen sie, wie ihre Kleidung zeigt, rund um die Uhr und auch am Sonntag für ihren Lebensunterhalt arbeiteten. Ihre Lebensumwelt ist die enge ländliche Gemeinde, wie sie von Sherwood Anderson in Winesburg, Ohio (1919) und Sinclair Lewis in Mainstreet (1920) beschrieben wurde. Sie leben in der Vergangenheit, in einer Traumwelt und in der Erinnerung an eine Zeit, als die „Protestant Work Ethic“, die Max Weber 1905 in The Protestant Ethic and the Spirit of Capitalism beschrieb, noch den Lebensrhythmus in den puritanischen Landgemeinden Amerikas bestimmte. Der Mann auf Grant Woods Gemälde wäre für uns ebenso glaubhaft, wenn er anstelle der Heugabel ein Gebetbuch in der Hand hielte.

grant woord (1930) | wikipedia.org

Ähnlich wie Grant Wood zeigen auch Edward Hopper in seinen Bildern wie Hotel Room, 1931, und Nighthawks, 1942, und Dorothea Lange (Migrant Mother, 1936) oder Walker Evans (Sharecropper Family, 1940) in ihren Fotografien die Hoffnungslosigkeit, Isolation und Einsamkeit der Menschen, die erkannt haben, dass für sie die Versprechungen des „American Dream“ zerbrochen sind.

Der „American Dream“, der anfangs jedem Amerikaner Freiheit und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten versprach, war zum Tanz um das Goldene Kalb „Konsum“ geworden und zur bloßen Jagd auf materielle Güter verflacht. Die Menschen werden jetzt nach ihren wirtschaftlichen Erfolgen bewertet, und für seine Stellung in der Gesellschaft ist persönlicher Erfolg und wirtschaftliches Wohlergehen wichtiger geworden als die moralische Position des Einzelnen. F. Scott Fitzgerald zeigt uns in The Great Gatsby (1925) eine Welt voller Glamour, in der nur die Erfolgreichen akzeptiert werden. John Steinbeck beschreibt in The Grapes of Wrath (1936) das Schicksal einer Familie, die ohne eigenes
Verschulden ihre Farm an eine Bank verliert und verarmt. Und in Arthur Millers Death of a Salesman (1949) ist der alternde Protagonist Willy Loman nicht mehr in der Lage, für den Lebensstandard seiner Familie aufzukommen. Er ist von den Ideen des „AmericanDream“ besessen und versteht nicht, dass sie in der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts nicht mehr realisierbar sind. Die Claims sind abgesteckt und Erfolg ist nur durch den Sieg über einen Konkurrenten erreichbar.

Der „American Dream“, der anfangs jedem Amerikaner Freiheit und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten versprach, war zum Tanz um das Goldene Kalb „Konsum“ geworden und zur bloßen Jagd auf materielle Güter verflacht.

An die Stelle des verlorenen „American Dream“ ist heute eine Allianz aus Wirtschaft und Politik getreten, die sich hemmungslos von ihren Interessen leiten lässt und dabei die Ignoranz, Vorurteile und Emotionen der Bevölkerung ausnutzt. Während wissenschaftliche Tatsachen auf allgemeinem Konsens beruhen – denn nur so kann eine Gesellschaft funktionsfähig gehalten werden – wird versucht, den Menschen einzureden, dass die persönliche Freiheit des Denkens nur durch science denialism, durch Infragestellen
aller empirischen Forschungsergebnisse bewahrt bleibt. Dabei wird durch populistische Meinungsmache Expertenwissen als undemokratisch angefeindet und für eine Befreiung von der Herrschaft der wissenschaftlichen Eliten gekämpft. „Postfaktische“ Befunde, „alternative Fakten“ oder ganz einfach Lügen, Verleumdungen und Verschwörungstheorien sollen dabei helfen. „Make America Great Again“ (MAGA) ist keine Wiedererweckung des „American Dream“ für den Einzelnen, sondern der Aufruf, weiterhin die Welt als die Quelle für Amerikas Wohlstand auszunutzen.

Foto (c) Irina Starkova

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