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equus eroticus & fetisch fashion

Das Kostüm-Konzept unserer Equus-Inszenierung

Von Marina Schünemann

Für das Kostüm-Konzept standen zwei Aspekte aus dem Stück im Vordergrund: Zum einen Pferde und zum anderen Alans Sexualität, vor allem seine Affinität zu Bondage bzw. BDSM. Diese wird zum Beispiel in dem Jesus-Bild deutlich, das er an die Wand am Fußende seines Bettes hängt. Seine Mutter Dora beschreibt es: “It was a reproduction of Our Lord on his way to Calvary. […] In all fairness it was a little extreme. The Christ was loaded down with chains, and the centurions were really laying on the stripes. It wouldn’t have been my choice but…”. 

Auch bei Alans Vater Frank erzeugt das Bild Unmut und er tauscht es aus: „He was always mooing over religious pictures, real kinky ones. I had to put a stop to it once or twice“.

Durch den Austausch des Bildes wird Alans Faszination auf das neue Bild, die Fotografie eines Pferdes, übertragen. Eines Tages kommt Vater Frank früher von der Arbeit nachhause und beobachtet, wie Alan das Pferdebild anstarrt: „He was standing in front of that picture! Then he knelt down. […] And then he, he took out a piece of string, made into a noose, and put it between his teeth, and pulled it. And he took a wooden coat hanger and began […] to beat himself”.

Um diese beiden Aspekte für das Kostüm umzuseissuestzen, habe ich mich bei den „Pferde-Elementen“ des Chorus auch von der Fetisch-Szene inspirieren lassen. Dort ist das sogenannte „Pony Play“ oder auch „Equus Eroticus“, bei dem eine:r der Sexualpartner:innen den Part des Pferdes übernimmt, schon länger bekannt. Aber heutzutage sieht man auch in der Alltagskleidung immer häufiger solch lederne, Pferdegeschirr ähnelnde Elemente, wie z. B. den Body-Harness, der sogar bei H&M zu kaufen ist. Wie kam die Bondage-Fashion in den Mainstream?

Heutzutage sieht man auch in der Alltagskleidung immer häufiger solch lederne, Pferdegeschirr ähnelnde Elemente, wie z.B. den Body-Harness, der sogar bei H&M zu kaufen ist.

Der erste Stop in meiner Spurensuche führt mich zu Vivienne Westwood, Ikone der Punk-Fashion. Ab 1974 begann sie, in ihrer Londoner Boutique „Sex“ – ein BeklVivienne Westwood hat die Harnesses als Mode-Kleidungsstück nicht erfunden – sie bediente sich bei der bereits existierender Fetisch-Fashion, um zu schocken und sich gegen das Spießbürgertum aufzulehnen.eidungsgeschäft für alternative Mode – auch BDSM-Artikel zu verkaufen. Diese Elemente arbeitete sie dann in ihre eigenen Designs ein, unter anderem die Body-Harnesses.Auch Lederriemen und enge Lederhalsbänder („choker“) waren in ihren Kollektionen zu finden. Aber Vivienne Westwood hat die Harnesses als Mode-Kleidungsstück nicht erfunden – sie bediente sich bei der bereits existierender Fetisch-Fashion, um zu schocken und sich gegen das Spießbürgertum aufzulehnen.

Einige glauben, dass die Bondage-Fashion und die Leder-Harnesses schon in den späten fünfziger und sechziger Jahren Teil der Kleidung waren, durch die sich die „Leather subculture“ der Schwulenszene in den USA ausdrückte. Erste konkrete Belege durch Fotografien oder Bestell-Kataloge gibt es jedoch erst aus dem Jahr 1971. 

Die Leder-Subkultur entstand nach dem zweiten Weltkrieg, als homosexuelle Männer geheime „Leder-Clubs“ gründeten, um in einer hypermaskulinen Umgebung ihre Homosexualität offen auszuleben. Die Quellenlage meiner Spurensuche ist jedoch zum Teil lückenhaft, da Themen wie Sexualität und vor allem auch Fetischismus als öffentliches Tabuthema häufig nur mündlich überliefert und erst viel später in schriftlicher Form vorlagen. Eine Theorie ist, dass die Leder-Harnesses von den deutschen Koppeltragegestellen, dem sogenanten „Y-Riemen“, inspiriert sind, die ab 1939 von Wehrmachtssoldaten getragen wurden. Eine andere Theorie ist, dass die amerikanischen Lederriemen aus der japanischen Fesselkunst Kinbaku entstanden.

In Japan hat die Fesselkunst eine lange Tradition. Im 15. Jahrhundert wurde Hojōjutsu als Fesselmethode eingesetzt, wobei je nach Status der Gefangenen andere Knotentechniken verwendet wurden. Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Fesselkunst auch für sexuelle Zwecke eingesetzt. Seitdem ist diese vor allem als Kinbaku („tight binding“) oder Kinbaku-bi („the beauty of tight binding“) bekannt. Ab den neunziger Jahren wurde im Westen die Bezeichnung Shibari („to bind“) geläufiger. Auch das Theater, genauer gesagt Kabuki, eine Form des japanischen Theaters, bestehend aus Gesang, Pantomime und Tanz, soll dafür verantwortlich sein, dass Kinbaku einer größeren Öffentlichkeit zugänglich wurde. 

In den fünfziger Jahren wurde Kinbaku in Japan durch die Verbreitung von Fotografien in Fetisch-Magazinen immer beliebter. Mit Irving Klaw und seinen Bondage-Fotografien von Pin-Up-Model Bettie Page, die ab 1951 im Fetisch-Magazin Bizarre veröffentlicht wurden, verbreitete sich Kinbaku auch immer mehr in den USA. In der Mode sind diese Harnesses aus Seilen allerdings weniger bedeutsam als ihre Pendants aus Leder. 

Auch Theater soll dafür verantwortlich sein, dass Kinbaku einer größeren Öffentlichkeit zugänglich wurde. 

In unserem Kostümkonzept für Equus ist Kinbaku in Form der Knotenhalfter im Chorus erkennbar. Dabei wurde aber auch direkte Inspiration von Knotenhalftern für Pferde, wie sie z. B. auch bei Pferde-Therapien genutzt werden, gezogen. Die Verknüpfung zu (sexualisierter) Bondage entsteht dabei durch den Umstand, dass das Halfter von Menschen statt von Pferden getragen wird. Body-Harnesses aus Knoten für den Chorus lassen sich schon eher Kinbaku zuordnen. Allerdings sind diese keine „tight bindings“, da die Bewegungsfreiheit der Schauspielenden im Vordergrund steht und nicht die Kunst des Bindens an sich, wie es beim Kabuki-Theater der Fall war. 

Damit bewegen wir uns bei der Spurensuche der Kostüm-Inspirationen schon wieder näher am „Pony Play“, bei dem ebenfalls Harnesses und Pferdegeschirr an Menschen angelegt werden. Die ältesten „modernen“, teils sehr expliziten Abbildungen finden sich im Fetisch-Roman „L‘Inquisiteur moderne“ von Juana Lapaz mit Illustrationen von „Carlos“ aus dem Jahr 1933. Auf ihnen ist zum Beispiel eine Frau im Pferdegeschirr, Sattel, Handschuhen und Ballettstiefeln zu sehen, die von einer zweiten Frau aus einem Wassereimer zu trinken bekommt. Schon 1914 gründeten L. Richard und seine Ehefrau Nativa die Lingerie-Firma Yva Richard, bei der BDSM und vereinzelt Pferde-Elemente bereits eine Rolle spielten. 1946 erschienen dann erstmals die „Pony Girls“ von John Willie, dem Gründer des Fetisch-Magazins
Bizarre.

Die Faszination von Pferden im sexuellen Kontext ist jedoch noch weitaus älter. Meine Spurensuche führte mich bis ins Mittelalter, wo die Erzählung „Phyllis und Aristoteles“ dieses Motiv bereits aufgreift. Phyllis verführt Aristoteles und reitet ihn wie ein Pferd im Innenhof, um ihn bloßzustellen und zu beweisen, dass er trotz seines Intellektes den Reizen der Frau nicht widerstehen kann. Von dieser „cautionary tale“ gibt es zahlreiche Abbildungen in Form von Statuetten, Wandteppichen und Gemälden, die Aristoteles mit Zaumzeug zeigen. 

Die Spuren von Pferde-Fetisch und Bondage Fashion führten mich also von den 70er Jahren in London bis ins Mittelalter. Doch wie kamen die Harnesses jetzt zu H&M ins Regal und damit unzweifelhaft in den Mainstream?

Während die Harnesses in den 80re Jahren noch ihre Hochzeit in der LGBT-Szene erlebten und auf den Pride-Paraden immer häufiger zu sehen waren, tauchen sie in der Mainstream-Mode erstmals 1992 bei der „Miss S&M-Collection“ von Versace auf. 2006 entwirft Jean-Paul Gaultier die Bühnen-Outfits für Madonnas „Confessions“-Tour. Im ersten Teil der Show, der den Namen „Equestrian“ trägt, sind ihre Tänzer in Leder-Harnesses und Zaumzeug gekleidet. 2019 kam dann die „Revival“ von Versace mit der „Fall Ready to wear“-Kollektion, bei denen Harnesses wieder vermehrt auftauchten. Zu dieser Zeit tragen auch immer mehr Stars das Kleidungsstück auf dem roten Teppich: Chadwick Boseman bei den ESPY-Awards 2018, Timothee Chalamet ein paar Monate später bei den Golden Globes 2019 und die Sängerin Dua Lipa bei den 2019 MTV EMAs. In letzter Zeit ist vor allem der Musiker Lil Nas X für seine Bondage inspirierten Outfits bekannt, zum Beispiel sein knallpinkes Cowbow-Leder-Ensemble mit mehrlagigem pinken Leder-Harness, das er zu den Grammys 2020 trug.

Foto (c) David Heuberg

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